Anfang Juni 2022 habe ich in diesem Artikel auf die Mängel der Radverkehrsführung im Zuge der kurz vorher fertiggestellten Ortsdurchfahrt Buschhausen hingewiesen. Jetzt will ich Sie mal auf den neuesten Stand bringen:
Brief an den Bauträger
Am 13. Juni habe ich per Mail einen Brief an den Bauträger geschickt (siehe NLBStV-Anschreiben), in dem ich die Mängel zusammengefasst und um Prüfung und Problemlösung gebeten habe. Eine Antwort habe ich bislang nicht erhalten und das fehlende Zusatzzeichen 1000-32 (Fahrrad und zwei gegengerichtete Pfeile) an der Einmündung Buschhausener Straße (unter dem Zeichen „Vorfahrt gewähren“) ist bis heute (Stand 12. September) noch immer nicht an seinem von der VwV-StVO geforderten Platz.
Ergänzende Recherche
Das Problem des zu schmalen Geh- und Radweges war offenkundig lange Zeit bekannt. Bereits im Februar 2020, also lange vor Beginn der Bauarbeiten, äußerte sich Bürgermeister Rohde in Bezug auf eine umfassende Sanierung des Rad- und Fußwegs zurückhaltend. Zwar sei der Radweg „in einigen Bereichen wirklich nicht gut“, insgesamt aber könne die Sanierung nur im bestehenden Umfang erfolgen. „Das bedeutet, wir werden nicht breiter, da dort der Platz fehlt.“ Ansonsten müsse die Stadt Grundstücke erwerben. Und dazu sei im Haushalt kein Geld vorhanden. Da die Instandsetzung entlang der L 149 innerhalb der Ortsdurchfahrt stattfinde, müsse die Stadt nur 50 Prozent der Kosten tragen, erläutert Rohde. (Quelle: Osterholzer Kreisblatt 29.02.2020)
Im März und nochmals im Mai 2020 hatte die SPD „Nacharbeiten an der Planung“ u. a. bzgl. Mängeln an der Radwegplanung gefordert, die am 13. Februar 2020 im Rathaus vorgestellt worden war. (Quelle: Osterholzer Kreisblatt 12.03. und 02.05.)
Im November 2020 erstattete die Stadtverwaltung den Kommunalpolitikern im Bau- und Umweltausschuss einen Sachstandsbericht. Sie bezog sich dabei u. a. auf ein Gutachten, das vom Ingenieurbüro PGT für die Verbesserung des Radverkehrs in Buschhausen erstellt worden sei und zu dem Ergebnis komme, dass ein gemeinsamer Geh- und Radweg machbar sei. Die NLStBV habe klargestellt, „dass weder eine Verschiebung der Fahrbahnachse, noch eine Flächeninanspruchnahme ’nach außen hin‘ zugunsten einer Gehwegverbreiterung umsetzbar sei. Demnach müsse mit der Bestandsbreite des gemeinsamen Geh- und Radwegs geplant werden.
… Aufgrund der verhältnismäßig geringen Frequentierung und des unauffälligen Unfallgeschehens könne auch bei nicht ausreichender Breite weiterhin die Radwegebenutzungspflicht angeordnet werden.“ (Quelle: Öffentliches Protokoll über die Sitzung Bau- und Umweltausschuss v. 9.11.2020. S. 10 f.)
Das ominöse Gutachten
Nach diesen Recherchen interessierte mich das im Protokoll der Ausschusssitzung erwähnte PGT-Gutachten brennend, erschienen mir doch die genannten Gründe für die Anordnung einer Radwegbenutzungspflicht („verhältnismäßig geringen Frequentierung“ und „unauffälliges Unfallgeschehen“) mehr als fadenscheinig.
Am 25. Juni bat ich also die Stadtverwaltung um eine Kopie des Gutachtens. Ich erhielt aber die freundliche Antwort, es handele nicht um ein eigenständig geführtes Gutachten, sondern nur „eine für die verwaltungsinterne Betrachtung notwendige Entscheidungshilfe“.
Es ließ mir aber keine Ruhe und wenige Tage später entdeckte ich, dass der im März 2022 vom Stadtrat beschlossene Verkehrsentwicklungplan (VEP) ein Dokument namens „PGT, Verkehrsuntersuchung OD Buschhausen in Osterholz-Scharmbeck, Stadt Osterholz- Scharmbeck, Hannover 2020“ als Quelle benennt. Ich habe mich deshalb direkt an die Fa. PGT gewandt und um eine Kopie gebeten, wurde aber an die Stadt Osterholz-Scharmbeck als Auftraggeber verwiesen.
Also nochmals bei der Stadt nachgefragt, und am 2. August erhielt ich dann tatsächlich das in Frage stehende Papier (oder Gutachten?), datiert vom 25. September 2020. Es enthält auf 12 Seiten zunächst eine Bestandsaufnahme der bisherigen Radverkehrsführung: „Die Radverkehrssituation ist aufgrund fehlender Breiten, eines fehlenden Schutzabstandes zur Fahrbahn und teilweise fehlender, baulicher Abgrenzungen (lediglich eine Rinne trennt den Weg von der Fahrbahn ab) als äußerst kritisch zu bezeichnen.“
Hinsichtlich möglicher Lösungen böten sich richtungsgetrennte Radverkehrsanlagen bzw. Schutzstreifen wegen der vergleichsweise hohen Verkehrsmengen bei geringen Lkw-Anteilen und der wichtigen Fahrbeziehungen u.a. in Richtung Schule nicht an, der Planung der NLStBV mit einem durchgehenden Zweirichtungsradweg auf der Südseite könne gefolgt werden. Dieser sei aber „deutlich zu verbessern. Sinnvollerweise sollte auf der Südseite durch Verschiebung der Bord- und Rinnenanlage eine mindestens 3,10 m breite Geh- und Radverkehrsanlage, inklusive Sicherheitsabstand 3,50 m, realisiert werden.“
Was man in dem Gutachten (natürlich!) vergeblich sucht, ist die Zulässigkeit einer beidseitigen Radwegsbenutzungspflicht bei „als äußerst kritisch“ bezeichneten Radverkehrsanlagen.
Verkehrszählung
Für die Planung spielt das Verkehrsaufkommen eine wichtige Rolle. Denn: Je höher die Verkehrsmenge und je höher der Schwerverkehrsanteil, desto wichtiger ist die räumliche Trennung von Kfz und Radverkehr. Umso eher übrigens hält auch eine behördlich angeordnete Radwegbenutzungspflicht einer evtl. gerichtlichen Überprüfung stand.
Für die L 149 in Buschhausen ist die Datenlage in dieser Hinsicht verwirrend: 2011-2019 wurde in Plänen und Gutachten übereinstimmend mit ca. 7.500 Kfz/Tag gerechnet, östlich der B74 hingegen mit ca. 16.000 Kfz/Tag. Im o. g. Gutachten aus dem Jahr 2000 werden plötzlich für Buschhausen 14.000-17.000 Kfz/24h mit einer spitzenstündlichen Belastung von 1.000-1.600 Kfz/h angegeben, als Quelle wird eine Untersuchung (Ingenieurgemeinschaft Dr. Schubert) aus 2017 genannt. Diese „vergleichsweise hohe Verkehrsmenge“ spreche gegen die Anlage richtungsgetrennter Radverkehrsanlagen bzw. Schutzstreifen.
Es schien mir deshalb unumgänglich, mir selbst einen aktuellen Eindruck zu verschaffen. Also habe ich an einem Montag und Dienstag (12. und 13.9.22, außerhalb der Schulferien, morgens 7-10:00 Uhr und nachmittags 15-18:00 Uhr) tapfer Strichlisten gefüllt und Folgendes erhoben:
Am verkehrsstärksten war die Stunde 16:00-17:00 Uhr mit 943 Kfz (8 Lkw/Busse) östlich der Kreuzung „Am Kohlgarten“ und 876 Kfz (8 Lkw/Busse) westlich davon. Der stärkste Schwerlastverkehr (36/Std.) war 7:00-8:00 Uhr, der stärkste Radverkehr (48/Std.) 15:00-16:00 Uhr zu verzeichnen. Daraus lässt sich die durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke (DTV) abschätzen, sie liegt bei 8.800-9.500/24 Std. (davon ca. 220 Schwerlastverker).
Die Bedeutung belastbarer Daten zur Verkehrsmenge wird am nebenstehenden Diagramm deutlich. Es stammt aus der Empfehlung für Radverkehrsanlagen (ERA 2010) und betrifft die Eignung bestimmter Führungsformen des Radverkehrs in Abhängigkeit von der Stärke und der Geschwindigkeit des Kfz-Verkehrs. Die ERA nimmt unter vergleichbaren Empfehlungen eine Sonderstellung ein, weil Verwaltungsgerichte sie regelhaft als aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisquelle berücksichtigen und die VwV-StVO ausdrücklich auf sie verweist (vgl. Verwaltungsgericht Braunschweig 2013 Az 6 A 64/11). Die von mir eingefügten Farbmarkierungen kennzeichnen den Ist-Zustand in Buschhausen. Im östlichen Abschnitt (Tempo 30) liegen wir komfortabel, im westlichen Abschnitt (Tempo 50) noch knapp im sog. Belastungsbereich II. In dieser Situation empfiehlt die ERA
- Schutzstreifen
- Kombination Mischverkehr auf der Fahrbahn und „Gehweg“ mit Zusatz „Radfahrer frei“
- Kombination Mischverkehr auf der Fahrbahn und Radweg ohne Benutzungspflicht
- Kombination Schutzstreifen und „Gehweg“ mit Zusatz „Radfahrer frei“
- Kombination Schutzstreifen und vorhandener Radweg ohne Benutzungspflicht
Erst ab Belastungsbereich III wird eine obligate Trennung von Kfz- und Radverkehr empfohlen, dann natürlich auch mit Radwegbenutzungspflicht.
Aktuelles Resümee
- Die jetzigen Mängel der Radverkehrsanlage in der Ortsdurchfahrt Buschhausen waren lange vor Beginn der Bauarbeiten bekannt und wurden von Fachleuten als „äußerst kritisch“ eingestuft.
- Dessen ungeachtet wurde die Fahrbahn mit einer Breite von 6.70 m luxuriös überdimensioniert, der gemeinsame Geh- und Radweg mit 1.80 m + 0.40 m Sicherheitsraum hingegen vorschriftswidrig unterdimensioniert.
- Für diesen unterdimensionierten Geh-/Radweg wurde entgegen der einschlägigen Bestimmungen der VwV-StVO eine beidseitige Radwegbenutzungspflicht angeordnet.
- In aller Öffentlichkeit wird diese Radwegbenutzungspflicht völlig unzureichend und unzutreffend begründet.
Das ist ein ziemlicher – leider immer noch sehr unbekannter – Hammer. Selbst wenn man die (Nicht)-Handlungen der Stadt und die mehr als fragwürdige Kommunikation der Stadt zur Seite schiebt: Es zeigt mehr als deutlich, dass die Verkehrspolitik der Stadt OHZ immer noch nicht dabei angekommen ist, aus der Perspektive der Verwundbaren (Fußgänger, Radfahrer) zu denken. „Da muss wohl erst was richtig Schlimmes passieren!“, wie meine Oma immer sagte. Hoffentlich nicht!!!
Dir, Jürgen, ganz herzlichen Dank für deinen Einsatz!