Man kann seitenlange Ausarbeitungen dazu schreiben, so wie ich es hier versucht habe.
Aber man kann es auch machen wie die Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr in ihrem Leitfaden Radverkehr (Download hier – 7.9 MB) vom November 2013. Die notwendigen Gedankenschritte für die Entscheidung, ob ein Radweg überhaupt benutzungspflichtig sein darf, kurz und knackig in einer übersichtlichen Matrix präsentiert. So geht das!
Das wesentliche doch noch mal als ganzer Satz, damit es bei dieser Prägnanz nicht verloren geht:
Eine Radwegbenutzungspflicht soll nur angeordnet werden, wenn aufgrund besonderer örtlicher Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht und die Mindestanforderungen aus der Verwaltungsvorschrift zur StVO (nachzulesen u .a. im 3. Absatz hier) erfüllt sind.
Nur der Vollständigkeit halber: mit den in der Matrix erwähnten „Ausnahmen“ sind kurze Engstellen bis etwa 50m Länge gemeint, für die „ausnahmsweise und nach sorgfältiger Überprüfung“ (u.a. Abwägung alternativer Möglichkeiten) auch geringere Breiten zulässig sind.
Jetzt bin ich aber doch mal gespannt, wie lange es dauert, bis diese übersichtlich gehaltenen Empfehlungen aus berufenem Munde Eingang in die tägliche Praxis finden 🙂 .
Update Oktober 2014: Dieser Artikel aus dem Februar hat seit Oktober 2014 nur noch historische Bedeutung. Für die meisten Radwege in Osterholz-Scharmbeck wurde die Benutzungspflicht aufgehoben (siehe hier). Nur wenige der u. g. Verkehrszeichen 237, 240 und 241 sind stehen geblieben (siehe dort).
Mit den Radwegen ist das so eine Sache. Auch in Osterholz-Scharmbeck. Da freue ich mich doch sehr, dass dieses Thema jetzt im Wahlkampf zur Sprache kommt. So geschehen Anfang Februar 2014 bei einem Treffen des Bürgermeisterkandidaten Werner Schauer mit ADFC-Vertretern. Am drauffolgenden Montag dann gar im Kreisblatt auf Seite 1.
Und es gibt hier wirklich viel zu tun, das ist mir in den letzten Monaten immer klarer geworden. Allerdings müssen wir uns zu Beginn ein wenig mit den Fakten befassen, sonst brechen wir wie in vielen anderen Städten einen unschönen und völlig unnötigen Glaubenskrieg vom Zaum, wo denn nun die Radfahrer hingehören.
Worum geht es überhaupt?
Sehr viele Verkehrsteilnehmer -und bis 2013 gehörte ich auch dazu- glauben, dass Radfahrer auf Radwegen grundsätzlich besser aufgehoben sind als auf der Fahrbahn. Das aber ist schlichtweg falsch, ob man es jetzt persönlich befürwortet oder ablehnt. Die Gründe dafür sind vielfältig. An Kreuzungen und Einmündungen führt die Trennung von Auto- und Radverkehr zu einem höheren Unfallrisiko, was u. a. auf mangelnde Sichtbarkeit und falsches Sicherheitsgefühl zurückgeführt wird. Auch sind Unfälle zwischen Radfahrern und Fußgängern häufiger, wenn diese sich den Verkehrsraum teilen.
Diese Erkenntnis führte 1997 zu einer Novelle der StVO, mit der die generelle Radwege-Benutzungspflicht abgeschafft wurde. Seither sind Radwege nur benutzungspflichtig, wenn sie mit einem Zeichen 237, 240 oder 241 versehen sind. Auf einem Gehweg übrigens dürfen nur Kinder bis zum 10. Geburtstag fahren, Kinder bis zum 8. Geburtstag müssen das sogar.
Die Benutzungspflicht für einen Radweg darf nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes vom November 2010 (BVerwG 3 C 42.09) „nur angeordnet werden, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Rechtsgutbeeinträchtigung erheblich übersteigt (§ 45 Abs. 9 Satz 2 der Straßenverkehrs-Ordnung – StVO)“.
Straßenverkehrsordnung und höchstrichterliches Urteil sind da für mich als Laien recht unmissverständlich: Benutzungspflicht für Radwege darf nur unter ganz bestimmten Umständen angeordnet werden. Und als solche Umstände gelten ausschließlich Gefahren aufgrund besonderer örtlicher Verhältnisse.
Ist aus Verkehrssicherheitsgründen die Anordnung der Radwegebenutzungspflicht mit den Zeichen 237, 240 oder 241 erforderlich, so ist sie, wenn nachfolgende Voraussetzungen erfüllt sind, vorzunehmen. Voraussetzung für die Kennzeichnung ist, daß
eine für den Radverkehr bestimmte Verkehrsfläche vorhanden ist oder angelegt werden kann. Das ist der Fall, wenn
a) von der Fahrbahn ein Radweg baulich oder ein Radfahrstreifen mit Zeichen 295 „Fahrbahnbegrenzung“ abgetrennt werden kann oder
b) der Gehweg von dem Radverkehr und dem Fußgängerverkehr getrennt oder gemeinsam benutzt werden kann,
die Benutzung des Radweges nach der Beschaffenheit und dem Zustand zumutbar sowie die Linienführung eindeutig, stetig und sicher ist. Das ist der Fall, wenn
a) er unter Berücksichtigung der gewünschten Verkehrsbedürfnisse ausreichend breit, befestigt und einschließlich einem Sicherheitsraum frei von Hindernissen beschaffen ist. Dies bestimmt sich im allgemeinen unter Berücksichtigung insbesondere der Verkehrssicherheit, der Verkehrsbelastung, der Verkehrsbedeutung, der Verkehrsstruktur, des Verkehrsablaufs, der Flächenverfügbarkeit und der Art und Intensität der Umfeldnutzung. Die lichte Breite (befestigter Verkehrsraum mit Sicherheitsraum) soll in der Regel dabei durchgehend betragen:
aa) Zeichen 237
– baulich angelegter Radweg: möglichst 2,00 m, mindestens 1,50 m
– Radfahrstreifen (einschließlich Breite des Zeichens 295): möglichst 1,85 m, mindestens 1,50 m
bb) Zeichen 240
– gemeinsamer Fuß- und Radweg: innerorts mindestens 2,50 m, außerorts mindestens 2,00 m
cc) Zeichen 241
– getrennter Fuß- und Radweg: Für den Radweg mindestens 1,50 m
Zur lichten Breite bei der Freigabe linker Radwege für die Gegenrichtung vgl. Nummer II 3 zu § 2 Abs. 4 Satz 3.
Ausnahmsweise und nach sorgfältiger Überprüfung kann von den Mindestmaßen dann, wenn es aufgrund der örtlichen oder verkehrlichen Verhältnisse erforderlich und verhältnismäßig ist, an kurzen Abschnitten (z. B. kurze Engstelle) unter Wahrung der Verkehrssicherheit abgewichen werden.
b) die Verkehrsfläche nach den allgemeinen Regeln der Baukunst und Technik in einem den Erfordernissen des Radverkehrs genügendem Zustand gebaut und unterhalten wird und
c) die Linienführung im Streckenverlauf und die Radwegeführung an Kreuzungen und Einmündungen auch für den Ortsfremden eindeutig erkennbar, im Verlauf stetig und insbesondere an Kreuzungen, Einmündungen und verkehrsreichen Grundstückszufahrten sicher gestaltet sind.
Besonders gefährlich: „Linke“ Radwege
Auf der eigentlich falschen Seite leben Radfahrer innerhalb geschlossener Ortschaften besonders gefährlich. Dem trägt die o. g. Verwaltungsvorschrift deshalb besonders Rechnung:
„Freigabe linker Radwege (Radverkehr in Gegenrichtung)
Die Benutzung von in Fahrtrichtung links angelegten Radwegen in Gegenrichtung ist insbesondere innerhalb geschlossener Ortschaften mit besonderen Gefahren verbunden und soll deshalb grundsätzlich nicht angeordnet werden.
Auf baulich angelegten Radwegen kann nach sorgfältiger Prüfung die Benutzungspflicht auch für den Radverkehr in Gegenrichtung mit Zeichen 237, 240 oder 241 oder ein Benutzungsrecht durch das Zusatzzeichen „Radverkehr frei“ (1022-10) angeordnet werden.
Eine Benutzungspflicht kommt in der Regel außerhalb geschlossener Ortschaften, ein Benutzungsrecht innerhalb geschlossener Ortschaften ausnahmsweise in Betracht.
Am Anfang und am Ende einer solchen Anordnung ist eine sichere Querungsmöglichkeit der Fahrbahn zu schaffen.
Voraussetzung für die Anordnung ist, dass
a) die lichte Breite des Radweges einschließlich der seitlichen Sicherheitsräume durchgehend in der Regel 2,40 m, mindestens 2,0 m beträgt;
b) nur wenige Kreuzungen, Einmündungen und verkehrsreiche Grundstückszufahrten zu überqueren sind;
c) dort auch zwischen dem in Gegenrichtung fahrenden Radfahrer und dem Kraftfahrzeugverkehr ausreichend Sicht besteht.
An Kreuzungen und Einmündungen sowie an verkehrsreichen Grundstückszufahrten ist für den Fahrzeugverkehr auf der untergeordneten Straße das Zeichen 205 „Vorfahrt gewähren.“ oder Zeichen 206 „Halt. Vorfahrt gewähren.“ jeweils mit dem Zusatzzeichen mit dem Sinnbild eines Fahrrades und zwei gegengerichteten waagerechten Pfeilen (1000-32) anzuordnen. Zum Standort der Zeichen vgl. Nummer I zu Zeichen 205 und 206. Bei Zweifeln, ob der Radweg noch zu der vorfahrtberechtigten Straße gehört vgl. Nummer I zu § 9 Absatz 3; Randnummer 8.“
Wie sieht’s in Osterholz-Scharmbeck aus?
Je länger ich mich mit den Hintergründen, gesetzlichen Regeln, Verwaltungsvorschriften und Urteilen beschäftige, umso klarer wird mir, dass kaum ein Radweg in Osterholz-Scharmbeck benutzungspflichtig sein dürfte. Die wichtigsten Radwege der Stadt will ich mir daraufhin allerdings im Detail ansehen, mit vorgefertigten Meinungen und Allgemeinplätzen ist niemandem geholfen. Angefangen habe ich mit einer Bestandsaufnahme der Radwegen an der Bahnhofstraße, demnächst hier nachzulesen.
Wohlgemerkt: Als Auto- und Radfahrer würde ich es sehr begrüßen, wenn Radler auf allen Hauptstrecken der Stadt geeignete und sichere Radverkehrsanlagen vorfinden würden. Um sie einerseits selbst zu nutzen und andererseits möglichst nie als Kfz-Führer in einen Unfall mit Radfahrer-Beteiligung verwickelt zu werden. Solange wir aber solche Radwege nicht haben, bleibt aus meiner Sicht gar keine andere Wahl, als die Benutzungspflicht vielerorts aufzuheben und zu lernen, mit Radfahrern auf der Fahrbahn zu leben.
Zunächst einmal ist es in meinen Augen sehr vielversprechend, dass die Stadtverwaltung im Ausschuss für Planung und Stadtentwicklung auf Antrag der SPD-Fraktion in der nächsten öffentlichen Sitzung (18. Februar 16.00 Uhr) einen „Sachstandsbericht zum Radwegenetz für den Alltagsverkehr“ abgibt. Wir sollten am Ball bleiben, das Image einer „Fahrradfreundlichen Stadt“ wird in Zukunft grad in der jüngeren Generation nicht ohne Bedeutung sein.
Die North American International Motor Show in Detroit (13.-26. Januar 2014) hat mit dem beeindruckenden Nebeneinander funkelnder Ausstellungshallen voller High-Tech und der bankrotten und in weiten Teilen sichtlich vom Verfall geprägten einstigen Automobil-Hochburg vielerorts zu Nachdenklichkeit geführt. Man liest dieser Tage oft über die vermeintliche oder unausweichliche Zukunft des Automobils und die Entwicklung von Mobilität. Es scheint so, als wenn wir gerade den Anfang vom Ende zumindest des klassischen Automobils mit Verbrennungsmotor erleben. Wobei ziemlich unklar ist, wohin die Reise wirklich geht. Spannende Zeiten jedenfalls, wenn man sich das mal genau überlegt.
Interessante Gedanken in der Welt am Sonntag am 12.1.2014: Alte Eisen. Und kurz darauf ganz ähnlich in der Süddeutschen Zeitung am 14.1.2014: Der Lack ist ab. Und damit ist auch klar, dass es sich ganz offensichtlich nicht um spinnertes Gedankengut linksintellektueller Weltverbesserer handelt, diese Presseorgane brauchten sich jedenfalls bislang einem solchen Verdacht nicht ausgesetzt fühlen.
Im Zuge der erweiterten Berichterstattung über das Schädel-Hirn-Trauma, das Michael Schumacher bei seinem Skiunfall im Dezember 2013 erlitt, wird immer wieder über den Nutzen eines Helms beim Skifahren spekuliert. Tenor ist dabei meist, dass Schumacher ohne Helm noch schwerer oder gar tödlich verletzt worden wäre. Eine Auffassung, die auch von den behandelnden Ärzten in Grenoble vertreten wurde, ohne sie allerdings zu begründen. „Helm auf beim Skifahren?“ weiterlesen
Die Stadt Berlin hat am 12. November 2013 ein Internetportal zum Dialog zwischen Planung und Radfahrenden eingerichtet. Es ist bis zum 10. Dezember befristet und soll zunächst einen Überblick über Berliner Kreuzungen verschaffen, die aus Sicht von Berliner Radfahrerinnen und Radfahrern mögliche Konfliktschwerpunkte sind. Christian Gaebler, Staatssekretär bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt: „Wir setzen auf ein breites öffentliches, web-basiertes Beteiligungsverfahren, um ein wichtiges Thema gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern zu bearbeiten – Abbiegeunfälle zwischen Kfz und Radfahrenden. Bürgerinnen und Bürger können und sollen mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen aus bekannten und zum Teil täglich mit dem Rad zurückgelegten Wegen in Berlin einen Beitrag zur Erhöhung der Verkehrssicherheit leisten. Wir freuen uns auf eine große Beteiligung der Berliner Radler!“
Alle Beiträge sollen ab Mitte Dezember 2013 zusammengefasst und ausgewertet, die 20 Beiträge mit der meisten Unterstützung besonders intensiv geprüft werden. Gefördert wird das Projekt durch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) im Rahmen des Nationalen Radverkehrsplans 2020, unterstützt durch Eigenmittel des Landes Berlin. (Quelle: Pressemitteilung der Senatsverwaltung 12.11.13)
Ich finde den Ansatz überraschend und gut. In einer Zeit, die mir mit -in meinen Augen- unsinnigen Signalen zunehmender Radikalisierung zwischen Radverkehrs-Enthusiasten und Verkehrsplanern überhäuft schien, signalisiert er Problembewusstsein und ein „offenes Ohr“. Natürlich muss man geduldig abwarten, „was hinten dabei raus kommt“, aber die Einleitung gefällt mir schon mal gut. Seit Monaten denke ich darüber nach, ein ähnliches „Kataster“ von Problemzonen für Radfahrer in Osterholz-Scharmbeck zu beginnen … und komme nicht dazu.
Radfahrer gehören auf die Straße. Studien belegen, dass sie dort sicherer unterwegs sind, weil sie von Autofahrern besser gesehen werden als auf separaten Radwegen. Deshalb gilt in Deutschland bereits seit 1997, dass blaue Radwegschilder – die Fahrräder auf den Radweg „zwingen“ – nur da aufgestellt werden dürfen, wo es zu gefährlich ist, die Straße zu benutzen.
Eine der häufigsten Ursachen für schwerwiegende Unfälle von Radfahrern ist das „Übersehenwerden“ durch rechtsabbiegende Kraftfahrzeuge. Einer Studie der UDV (Unfallforschung der Versicherer) zur Folge tragen die Kfz-Lenker bei mehr als 90 % dieser Abbiegeunfälle die Hauptschuld. Nur bei etwa 11 % dieser Unfälle ist ein Lkw oder Lieferwagen beteiligt, so dass der oftmals angeschuldigte „tote Winkel“ nicht als Hauptursache herhalten kann. Die Verletzungen fallen aber in einer anderen Untersuchung bei Lkw-Beteiligung besonders schwer aus. Bei den viel häufiger involvierten Pkw-Lenkern ist es meistens reine Nachlässigkeit, mit zunehmendem Alter möglicherweise auch eingeschränkte Mobilität der Halswirbelsäule, die zur Missachtung der Vorfahrt führt. Fast jeder fünfte Pkw-Fahrer (in Konfliktfällen sogar ein Drittel!) unterlässt den in der Fahrschule eigentlich geübten „Schulterblick“ beim Rechtsabbiegen.
Jetzt sah ich im September in Amsterdam ein in meinen Augen interessantes Hilfsmittel für diese Situation: an vielen Kreuzungen waren unterhalb des grünen Ampellichts mittelgroße Parabolspiegel fest angebracht. Zurück daheim fand ich bei meinen Recherchen dann Hinweise, dass genau diese holländischen Blackspotmirror seit März 2013 an zwei Kreuzungen in Münster erprobt werden. Ähnliche Spiegel sind seit 2007 in Freiburg zunächst auf Privatinitiative und zuletzt fast flächendeckend von der Stadt installiert worden, genannt Trixi®-Spiegel nach der bei einem Radunfall schwer verletzten Tochter des Herstellers. Dort ist das Projekt im Auftrag der ADAC-Stiftung „Gelber Engel“ von der TU Kaiserslautern wissenschaftlich begleitet worden und eine erste Auswertung nach zwei Jahren weist auf einen Rückgang der entsprechenden Unfallzahlen hin, auf Grund der auch zuvor geringen Fallzahl allerdings bis dato ohne statistische Signifikanz. Immerhin aber schätzten fast 90 % der dabei befragten Lkw- und Busfahrer die Spiegel als hilfreich ein.
Mir scheinen diese Spiegel vorteilhaft, auch wenn es durchaus kritische Stimmen gibt („zu klein“, hilfreich nur vor dem und nicht beim Abbiegen …). Besser jedenfalls in meinen Augen, als bis zum St. Nimmerleinstag auf die vom ADAC geforderten aktiven Abbiegeassistenten für Lkw zu warten.
Beliebte Diskussion seit Jahren: Braucht der Einzelhandel zum Überleben in unseren Innenstädten Parkplätze? Schadet es den örtlichen Händlern, der Vielfalt an Geschäften und dem „Klima“, wenn rollender und ruhender Autoverkehr aus den Innenstädten verdrängt wird?
Dazu hat ja jeder eine Meinung und nicht alle sind fundiert, vorsichtig ausgedrückt. Neulich wurde im Kreisblatt auch bzgl. OHZ mal wieder eine Stimme zitiert, die zusätzlichen Parkraum auf dem Marktplatz zwecks Belebung der Innenstadt vorschlug.
Zumindest bei den lautesten Befürwortern solch autofreundlicher Stadtentwicklung bin ich unsicher, ob Fakten überhaupt erwünscht sind, aber hier wären einige:
Martin Randelhoff berichtet über eine wissenschaftliche Studie, die anhand der Umsatzzahlen ansässiger Unternehmen zweier Straßenabschnitte in Seattle den Einfluss einer Umwandlung von Parkplätzen bzw. eines Fahrstreifens in einen Radweg analysiert. Der Autor der Studie Kyle Rowe (University of Washington) kommt zu dem Ergebnis, dass diese Umbaumaßnahmen in den Jahren 2010-2012 den lokalen Gewerbebetrieben keinesfalls geschadet haben. Aus Manhattan wird übrigens gleichlautend berichtet, die Anlage eines geschützten Radweges zu Lasten von Fahrspuren führte dort nicht nur zu einem 35-58 %igen Rückgang der Verletzungen in Folge von Verkehrsunfällen, sondern auch zu einer 49 %igen Umsatzsteigerung der Anliegergeschäfte im Vgl. zu 3 % im Gesamtbezirk.
Die Stiftung Warentest hat gestern eine in meinen Augen sehr lesenswerte Zusammenfassung der am weitverbreitetsten Irrtümer bezüglich der Verkehrsregeln für Rad Fahrende veröffentlicht.
Nachdem ich Einiges davon selbst erst in diesem Jahr begriffen habe (siehe hier) und seither tagtäglich sehe, wie die Mehrzahl der Autofahrer und auch die Mehrzahl der Radfahrer diese Regeln nicht zu kennen scheint, weiß ich wie wichtig eine möglichst weitreichende Aufklärung der Irrtümer ist. Danke, Stiftung Warentest!
Aktuelle Zahlen aus 2012:
• 299.636 Unfälle mit Verletzten: 3.600 Tote, 66.279 Schwer- und 318.099 Leichtverletzte
• Davon 74.961 Unfälle mit verletzten Radfahrern: 417 Tote, 14.496 Schwer- und 64.835 Leichtverletzte
• Innerorts ist jeder vierte Getötete ein Radfahrer
• Jeder fünfte Verletzte ist ein Radfahrer
Unfälle mit Radfahrern und abbiegenden Kfz machen einen erheblichen Anteil der Rad-Unfälle aus und haben meist schwerwiegende Folgen. Die Studie der UDV zum Unfallgeschehen zwischen abbiegenden Kfz und geradeausfahrenden Radfahrern untersuchte die Einflüsse der Verkehrsinfrastrukturgestaltung und des Verhaltens der Verkehrsteilnehmer auf die Verkehrssicherheit beim Abbiegen an innerörtlichen Knotenpunkten. Dazu wurden ca. 900 Unfälle der Jahre 2007 bis 2009 zwischen abbiegenden Kfz und geradeausfahrenden Radfahrern in vier Städten (Darmstadt, Erfurt, Magdeburg und Münster) analysiert und an 43 Kreuzungen ergänzende Verhaltensbeobachtungen durchgeführt. Zusätzlich wurden Auto- und Radfahrer in diesen Städten telefonisch über ihr Sicherheitsempfinden, ihr Verhalten im Verkehr und ihre Kenntnisse der Verkehrsregeln befragt.
• 2/3 der Unfälle ereignen sich beim Rechts-, 1/3 beim Linksabbiegen
• 80 % dieser Unfälle haben Verletzungen zur Folge (6-mal häufiger als bei allen Unfällen)
• Bei > 90 % dieser Unfälle trägt der Kfz-Führer die Hauptschuld
• bei nur ca. 11 % dieser Unfälle sind Lkw oder Lieferwagen beteiligt (der „tote Winkel“ ist offenbar nachrangig)
Die Auswertung der Unfälle zeigte als allgemein unfallbegünstigende Faktoren:
• Linksfahrende Radfahrer
• Radfahrer auf fremde Flächen z.B. Gehweg
• Abschüssige Verkehrsanlagen
Als „unfallauffällige Infrastruktur“ wurden identifiziert:
• Kreuzungen mit Lichtsignalanlage und abgesetzter Radfahrfurt von 2 bis 4m
• Kreuzungen ohne Lichtsignalanlage und einer Furtabsetzung von mehr als 4m
(beides insbesondere in Kombination mit Sichtbehinderungen, die bei 70-80 % der Unfälle festgestellt wurden)
• Kreuzungen ohne gesonderte Radwege mit wenig Radverkehr ohne Lichtsignalanlage
Bei den Verhaltensbeobachtungen (736 Interaktionen) zeigte sich eine stark situationsabhängige „Konfliktrate“:
• 3,2 %, wenn Auto- und Radfahrer nach einer Rotphase gemeinsam starten,
• 10,4 %, wenn beide Grünsignal haben und
• 29,8 %, wenn der Autofahrer nach Rot an- und der Radfahrer bei Grün durchfährt.
• 38,4 % bei mehreren Kfz in einer Abbiegereihe (frei fahrendes Kfz: 6,1 %)
• 6,1 % bei mehreren Radfahrern in einer Kolonne (frei fahrender Radfahrer: 13,2 %)
• 2,0 %, wenn sich der Radfahrer im Sichtfeld des Autofahrers befindet
• 16 %, wenn er hinter oder in gleicher Höhe fährt.
An Regelverstößen wurden seitens der Kfz-Führer beobachtet:
19,2 % (bei Konflikt 33,3 %) Fehlender Schulterblick (zunehmend häufiger bei älteren Af)
1,9 % Kein Blinken
4,7 % Ablenkung (meist Handynutzung)
Und von Seiten der Radfahrer:
0,3 % Rotlichtverstoß
3,8 % Gehwegbenutzung
17,4 % Fahren in falscher Richtung
13,3 % (bei Konflikten 24 %) Queren an Fußgängerfurt oder rechts der Radweg-Furt
Die Unfallforschung der Versicherer zieht aus ihrer Studie vor allem folgendes Fazit:
Die Infrastruktur an Knotenpunkten ist so zu gestalten und instand zu halten, dass ein Sichtkontakt zwischen Autofahrern und Radfahrern gewährleistet ist. Sichthindernisse sind zu entfernen.
Radverkehrsanlagen müssen regelkonform gestaltet, erkennbar und verständlich sein. Dieses gilt auch für Radwege mit fehlender Benutzungspflicht, ansonsten sollten diese zurückgebaut werden.
Autofahrer können nicht erkennen, wann Radverkehrsanlagen benutzungspflichtig sind oder ob linksfahrende Radfahrer illegal oder legal unterwegs sind. Für die Situation des Abbiegens ist der rücksichtsvolle Umgang miteinander nach §1 der StVO also zu betonen. Die (nonverbale) Kommunikation zwischen den Beteiligten und der Schulterblick von Autofahrer und Radfahrer müssen selbstverständlich werden. Es sollten alle Möglichkeiten ergriffen werden um in dieser Hinsicht eine Sensibilisierung der Verkehrsteilnehmer zu erreichen, dazu gehören Kampagnen, aber auch eine Thematisierung in den Medien und der Ausbildung.
Die gesetzliche Helmpflicht für Radfahrer ist (nicht nur) in Deutschland immer wieder Thema teils hitziger Debatten. Diese werden leider in der Hauptsache von Menschen bestritten, die ganz offenkundig keinerlei Ahnung von den Hintergründen haben … und ebenso offenkundig auch nicht bereit sind, sich diese anzueignen. Ganz aktuell hat die Frage nochmal an Brisanz gewonnen, nachdem das Oberlandesgericht Schleswig in seinem Urteil vom Juni 2013 einer Radfahrerin 20 % Mitschuld an einem von ihr nicht verursachten Unfall nur deswegen eingeräumt hat, weil sie keinen Helm trug. „Fahrrad-Helmpflicht“ weiterlesen
Ich bin immer noch slighlty shocked und etwas peinlich berührt, wie wenig Ahnung ich von der Straßenverkehrsordnung habe. Und das mir, wo ich doch seit vielen Jahren gerne und grad in den letzten drei Jahren durchaus auch engagiert Rad fahre. Mich seit 2012 gar für Radverkehrspolitik interessiere und redlich mühe, die Hintergründe zu verstehen und Standpunkte zu entwickeln. Aber dieses Schild beispielsweise habe ich bis gestern falsch gedeutet. Allerdings weiß ich mittlerweile, dass es Vielen so geht … und dass die Mehrzahl der zuständigen Straßenverkehrsbehörden in Deutschland mit diesem und vergleichbaren Schildern ganz falsch umgehen. Wollen Sie wissen, warum? „Radwege Benutzungspflicht 1“ weiterlesen
Critical Mass ist ein in mittlerweile vielen Städten Deutschlands regelmäßig wiederkehrendes „Phänomen“, das wie eine Demonstration von Fahrradfahrern wirkt. Den Teilnehmern geht es um die Rolle von Fahrradfahrern im städtischen Verkehr. Oft zitiertes Motto: „Wir behindern den Verkehr nicht, wir sind (der) Verkehr“. Meist 1-mal monatlich und überwiegend am letzten Freitag jeden Monats treffen sich Fahrradfahrer und radeln ohne vorbestimmtes Ziel mehrere Stunden auf den Straßen ihrer Stadt. Besonders im vergangenen Jahr 2012 hat die Bewegung in Deutschland deutlich an Popularität gewonnen. Hamburg mit in den Sommermonaten weit über 1.000 Teilnehmern hat sich als Massenveranstaltung etabliert und Bremen ist als „Austragungsort“ hinzugekommen (Übersicht Deutschland und weltweit).
Die Initialzündung der critical-mass-Bewegung liegt über 20 Jahre zurück, als sich am letzten Septemberfreitag 1992 Radler auf der Market Street in San Fransisco trafen und eine gemeinsame Ausfahrt durch die Stadt unternahmen. Mit unterschiedlichen politischen Interessen und ohne feste Organisatoren oder (Vereins-)Strukturen werden die Events auch als „Organisierter Zufall“ oder neudeutsch Smart Mob bezeichnet. Gemein ist ihnen der Wunsch, das öffentliche Interesse für Fahrradfahrer als Verkehrsteilnehmer zu erhöhen.
Bei der Nutzung von Fahrbahnen berufen sich die Teilnehmer der Critical Masses in Deutschland auf die Straßenverkehrsordnung und deren § 27 Abs. 1:
… Mehr als 15 Radfahrer dürfen einen geschlossenen Verband bilden. Dann dürfen sie zu zweit nebeneinander auf der Fahrbahn fahren …