Das Sigma 85mm F1,4 EX DG HSM (Daten bei Sigma) ist ein lichtstarkes Teleobjektiv für Digitalkameras. Weil ich über den Kauf dieses Objektivs mehrere Monate gegrübelt und mich seinerzeit sehr über praxisnahe Erfahrungsberichte im Internet gefreut habe, will ich meine Erfahrungen auch mal zusammenfassen.
Mein Fazit vorweg
Nach einem halben Jahr bin ich sehr froh, mir diese Linse zugelegt zu haben. Sie verhilft mir an der 5D zu tollen Aufnahmen und macht einfach Spaß. Das Sigma ist für Canon-Besitzer ein sehr gelungener Kompromiss zwischen dem Canon 85 mm 1.2 II (50 % schwerer und doppelt so teuer) und dem Canon 85 mm 1.8 (halb so schwer und halb so teuer). Für Nikon-Fotografen soll das ca. 50 % teurere Nikon 85 mm 1.4 besser sein. Die Bildschärfe ist exzellent und besser als die der beiden Canon-Objektive. Problematisch scheint der oft falsch justierte und unzuverlässige Autofokus, über den ich bei meinem Exemplar allerdings nicht klagen kann.
Übersicht
Markteinführung war 2010. Der Listenpreis liegt bei € 1199.-, ich habe Mitte Februar 2011 bei Amazon € 913.97 bezahlt. Lieferzeit waren keine zwei Tage: am Sonntag abend bestellt war es Dienstag mittag da.
Ein paar technische Daten: Gewicht 719 g, Filterdurchmesser 77 mm, Naheinstellgrenze 0.85 m, nicht Konverter-tauglich.
Mit seiner Brennweite von 85mm dient das Objektiv an Kameras mit Vollformatsensor (z. B. Canon EOS 5D Mark II) als leichtes Teleobjektiv. An Crop-Kameras mit kleinerem Sensor handelt es sich schon um ein mittleres Teleobjektiv entsprechend 135mm am Kleinbildformat. Mit dieser Brennweite wird es gerne für Porträts sowie Gruppen- und Sportaufnahmen aus mittlerer Distanz (z. B. Tischtennis, Handball etc.) eingesetzt. Die hohe Lichtstärke erlaubt Aufnahmen ohne Blitz („available light“) auch unter schlechten Lichtverhältnissen und die bei Offenblende sehr geringe Schärfentiefe ermöglicht dem Fotografen, das Hauptmotiv vor dem dann unscharfen Hintergrund „freizustellen“.
Optik und Haptik
Größe und Gewicht des Sigma 85mm ähneln dem 24-105mm L von Canon, letzteres ist geringfügig länger, glänzender und schwärzer. Der Ring vorne ist am Sigma nicht „L-typisch“ rot, sondern gold. Die Frontlinse ist erwartungsgemäß beeindruckend, die Verarbeitung scheint sehr gut.
Bajonett, Scharfstellring und Gegenlichtblende (Geli) machen einen soliden Eindruck und als kleines Extra wird eine Geli-Verlängerung für Crop-Kameras mitgeliefert.
An den größeren Kameragehäusen (bei Canon die 1- und 2-stelligen Modellbezeichnungen) macht das Objektiv einen ausgewogenen Eindruck und sieht ziemlich beeindruckend aus. An den kleineren Gehäusen der Einsteigerklasse (3- und 4-stellige Modelle bei Canon) wirkt es etwas wuchtig und verlagert den Schwerpunkt weit nach vorne, die Kombination ist dann auch im Handling etwas „objektivlastig“.
Autofokus
Fazit
Fehlfokus (bei mir Frontfokus) kommt in der Tat vor und ist gerade bei so einem lichtstarken Objektiv sehr problematisch. Für Kameras ohne Fokuskorrektur-Option sollte man die Linse unbedingt und möglichst vor dem Kauf prüfen. Bemerkenswert fand ich, dass der Fehlfokus desselben Objektivs an verschiedenen Kameragehäusen unterschiedlich ausfallen kann.
Viele meiner Gedanken vor der Anschaffung kreisten um die Qualität des Autofokus-Systems. Gerade für Aufnahmen mit gewollt knapper Schärfentiefe ist eine exakte Fokussierung unerlässlich. Bei einer Motivdistanz von 1-2 m beträgt die Schärfentiefe gerade einmal 2-4 cm und selbst eine geringe Fehlfokussierung wird gnadenlos aufgedeckt.
Diverse Quellen im Internet sprechen den Sigma-Objektiven häufige Probleme mit Fehlfokussierung im Sinne von Frontfokus oder Backfokus zu, wobei den „neueren“ Linsen ab dem 2008 eingeführten 50mm 1.4 recht einhellig eine geringere Rate an Dejustierung nachgesagt wird. Die Berichte waren aber uneinheitlich und zum Teil emotional belastet. Ich war also gespannt!
Der erste Eindruck des HSM-Autofokus war positiv, er ist recht schnell und leise. Mein üblicher improvisierter Autofokus-Test brachte interessante Ergebnisse. Die Abbildungen sind Ausschnitte aus 100%-Ansichten mit einer Motivdistanz von ca. 90 cm und Blende 1.4, Autofokusbetrieb mit dem jeweils mittigen Kreuzsensor:
Abb. 1: Frontfokus EOS 5DMk2 (anvisiert: 23) |
Abb. 2: 5DMk2 korrigiert | Abb. 3: Frontfokus 400D (anvisiert:54) |
An der Canon EOS 5D Mark II (5DMk2) hatte ich tatsächlich 3-4 mm Frontfokus (Abb. 1). Was bei dieser Kamera ja kein Beinbruch ist, da sie den Vorzug der kameraseitigen Fokuskorrektur hat. Nach Korrektur saß der Fokus dann auch erwartungsgemäß korrekt (Abb. 2).
Da ich das Objektiv aber auch an der Canon EOS 400D (400D) einsetzen will, schwankte ich dann erstmal zwischen Reklamation (soll ja schon möglichst perfekt sein …) und Resignation (wer weiß, wie es dann zurückkommt …). Nur weil ich mich nicht sofort entscheiden konnte, machte ich noch einen Versuch mit der 400D. Dessen Ergebnis allerdings überraschte mich: ein wenig Frontfokus war auch nachweisbar, der aber deutlich geringer ausgeprägt war (Abb. 3) als an der 5D. Bei meinem improvisierten Test mag er 1 mm betragen haben, meines Erachtens unter Berücksichtigung der Ungenauigkeit durch 45°-Anlotung gut zu tolerieren.
Praxiserfahrungen
Nach den ersten 6 Monaten und ca. 400 Aufnahmen (eine Auswahl hier) bin ich hochgradig zufrieden. Es ist schon beeindruckend, was sich mit ISO 1600 bis 3200 und Blende 1.4 noch alles ablichten lässt. Gerade bei Dämmerlicht profitiert auch das Sucherbild merklich von der großen Anfangsblende. Und die Ergebnisse sind klasse, im Zentrum auch bei Offenblende 1.4 sehr beeindruckend. Und auf die Bildränder schaue ich bei dieser Blende sowieso fast nie, die sind m. E. nur für Menschen interessant, die völlig plane Testcharts abfotografieren.
Der Autofokus „sitzt“ nach der einmaligen Korrektur an der 5D perfekt und ist gefühlt etwas genauer als mit dem 24-105 Standardzoom, angesichts der bekannten AF-Schwäche der 5D für meinen Geschmack sehr zufrieden stellend.
Eines allerdings kristallisiert sich rasch heraus: Jeden kleinen Denk- und Bedienungsfehler entlarvt das Objektiv bei Blende 1.4 gnadenlos. Wenn ich -wie bislang häufig praktiziert- auf den Zielpunkt fokussiere und vor dem Auslösen noch den Bildausschnitt verändere, geht mehr als die Hälfte der Aufnahmen in die Tonne. Ist eigentlich auch logisch, bei wenigen Millimetern Schärfentiefe kann eben die geringste Bewegung von Motiv oder Kamera ausreichen, um den Zielpunkt aus der Schärfeebene gleiten zu lassen. Daran muss ich mich etwas gewöhnen, bei (potenziell) bewegten Motiven bleibt der zentrale Autofokus-Sensor bei mir vorerst auf dem Zielpunkt und der Bildausschnitt wird ggf. nachträglich eingestellt.
Zusatzlektüre
- William Castleman: Ausführlicher Vergleich der „Canon 85er“ (1.2, 1.2 II und 1.8) mit viel Anschauungsmaterial. Fazit: Deutliche Preis-/Leistungsempfehlung für das 1.8er.
- The-Digital-Picture.com: Schärfevergleich Sigma 1.4 vs. Canon 1.8 (jeweils bei Offenblende!) sowie Sigma 1.4 vs. Canon 1.2 II (beide bei Blende 1.4)
- Alan Abrams: ausführlicher Review (engl.) eines stolzen Besitzers (Hochzeitsfotograf auf Long Island)
- Dan Freeman: Besitzer-Review (auch engl.) eines Nikonianers
- foto MAGAZIN 1.2011: Platz 1 von 5 für das Sigma (interessanterweise sogar gegen das Nikon 85/1.4)
- CHIP FOTO-VIDEO 09.2011: Festbrennweiten-Test für Canon, Nikon, Pentax und Sony. Das Sigma landet für Canon auf Platz 2 (nach dem Canon EF 1.8/85), für Nikon auf Platz 2 (nach dem Nikon AF-S 1.4/85), für Pentax auf Platz 1 und für Sony auf Platz 3 (nach dem Sony 1.4/85 Zeiss Planar und dem Sigma 1.4/50). Es erzielt an allen Systemen die höchste Auflösung (83-89 %, für Sony gemeinsam mit dem Sony 1.4/85). Die Gesamtwertung leidet an allen Systemen an einer sehr schwankenden Autofokusleistung (48-82 %).
- Praxisvergleich Sigma 85/1.4 vs. Canon 85/1.2 von Wayne Simpson (langjähriger 85/1.2-Besitzer).
DANKE für diesen fundierten Bericht. Mögest du immer „Gut Licht“ zur Verfügung haben! (oder so ähnlich)