„Osterholz-Scharmbeck” kann weg

Osterholz-Scharmbeck
Jetzt bloß keine Aufregung, die Stadt Osterholz-Scharmbeck kann natürlich nicht weg … nur ihr Name. Meine These: Statt „Osterholz-Scharmbeck” sollte sie „Osterholz” heißen. Für diesen Satz wäre ich vor 20 Jahren vermutlich geteert und gefedert worden, vielleicht auch schlimmer. Heute hingegen wissen viele überhaupt nicht mehr, was es mit dem Doppelnamen auf sich hat. Und man muss es auch gar nicht mehr wissen, der Name „Osterholz-Scharmbeck” war immer schon ein Notbehelf und ist mittlerweile eher kontraproduktiv.

Leidiger Doppelname

Der Doppelname „Osterholz-Scharmbeck” suggeriert zwei ebenbürtige Stadtteile, was schon lange nicht mehr der Realität entspricht. Das 1927 bei der Fusion nur leichte Ungleichgewicht hat sich durch Bevölkerungszuwachs und Eingemeindungen in den letzten 90 Jahren erheblich verschoben. Die Innenstadt Osterholz-Scharmbecks ist mittlerweile fest im Stadtteil Scharmbeck verortet, dessen Einwohnerzahl auch vielfach höher ist als die des Stadtteils Osterholz. Letzterer bietet zwar attraktive Wohnlagen in Zentrumsnähe, beherbergt mit Landkreisverwaltung, Stadthalle und Amtsgericht auch einige Einrichtungen überregionaler Bedeutung, mehr aber auch nicht.

Einwohner in Osterholz-Scharmbeck
Bevölkerung (hier: Wahlberechtigte 2019) in den einzelnen Stadtteilen und Ortschaften

Nun scheint es leider so, dass der von den Osterholzern mehrheitlich ungewollte und aus Berlin 1927 zwangsvollstreckte Zusammenschluss Wunden hinterlassen hat. Manch Osterholzer führte fortan jede nachteilige Veränderung im Stadtteil auf Scharmbecker Machenschaften zurück. Das Lecken dieser Wunden hat Generationen überdauert und auch heute noch liest man Äußerungen prominenter Bürger wie „Dann ist Osterholz ganz tot“ (Osterholzer Anzeiger 28.2.2019), wenn es z. B. um den möglichen Umzug von Seniorenbegegnungsstätte und Mehrgenerationenhaus ins (Scharmbecker) Stadtzentrum geht.

Dabei ist eine solche Entwicklung für einen dezentralen Stadtteil ziemlich normal und auch in Großstädten am laufenden Band zu beobachten. Viele der sich dort abgehängt Fühlenden wären sicher froh, wenn der Marktplatz höchstens 2 km und Bahnhof, Supermarkt, Arzt oder Apotheke höchstens 1 km entfernt wären wie für fast alle in Osterholz Lebenden.

Ich fürchte, dass der unselige Doppelname „Osterholz-Scharmbeck” dieses Underdog-Syndrom unterhält. Weil er Gleichberechtigung suggeriert, wo Gleichberechtigung sachlich nicht begründet ist. Wenn es beispielsweise um den Standort sozialer Einrichtungen geht, die allen Bewohnern zur Verfügung stehen sollen. Ein Mehrgenerationenhaus etwa soll sich den Förderrichtlinien des Bundes zur Folge „… zu einem übergreifenden Dach und Ankerpunkt des sozialen Miteinanders und der Teilhabe vor Ort (…) entwickeln”, da ist eine zentrale Lage höher zu bewerten als die Befindlichkeit einzelner Stadtteile.

Der Name Osterholz (und eben nicht Scharmbeck) anstelle von Osterholz-Scharmbeck würde dazu beitragen, dem Gefühl der Benachteiligung Nahrung zu entziehen. Abgesehen davon ist der Doppelname schlichtweg uncool. Mit Witzen über Doppelnamen will ich das lieber nicht begründen (siehe #Steltergate), erinnere mich aber noch gut an unsere eigenen ersten Jahre hier. Damals habe ich „Osterholz-Scharmbeck” noch als leicht ungelenkes und altbacken klingendes Wortungetüm empfunden, das sich in viele Adressfelder nur widerwillig einfügen ließ. Nach 20 Jahren habe ich mich an den Namen jetzt zwar gewöhnt, fände aber „Osterholz” bei längerem Nachdenken viel sympathischer..

Warum nicht?

Eigentlich fallen mir nur zwei Gründe gegen eine Umbenennung ein. Erstens gibt in Bremen schon einen Stadtteil Osterholz. Der war übrigens bis 1921 ebenso eine eigenständige Gemeinde wie „unser” Osterholz. Macht aber nichts, manche Ortsnamen kommen eben häufiger vor (Buch, Neuenfelde, Schöneberg, Weißensee …), ohne deshalb schlechter zu sein als andere.

Zweitens: So eine Umbennenung kostet! Ja, das befürchte ich auch. Wieviel das wäre … keine Ahnung. Hat aber die Karl-Marx-Städter auch nicht gestört, und trotz schon damals beträchtlicher Verschuldung ist die Stadt auch als „Chemnitz” nicht in die Insolvenz geschliddert. Will sagen: wenn man einen guten Grund hat, dann muss man dann eben durch.

Anhang

Zum besseren Verständnis für Zugereiste ein kurzer historischer Abriss der Geschichte hinter dem Doppelnamen:

Osterholz und Scharmbeck (Preußische Landesaufnahme ca. 1898)
  • Mitte 18. Jh.: Die eigenständigen Flecken Osterholz und Scharmbeck sind noch etwa gleich groß. Scharmbeck wächst aber schneller.
  • 1838: Die zuvor durch Osterholz geführte Fernstraße Bremen-Stade wird nach Scharmbeck verlegt.
  • 1862: Die neue Bahnlinie Bremen-Geestemünde verläuft nicht wie anfangs geplant westlich von Scharmbeck mit einem Bahnhof auf dem Weg nach Buschhausen, sondern -um Osterholz nicht zu benachteiligen- genau zwischen beiden Flecken auf damals völlig freiem Feld. Für den neuen Bahnhof führt die Reichsbahn die Bezeichnung Osterholz-Scharmbeck ein. Das war die Premiere des Doppelnamens.
  • 1869: Die Reichspost, damals Bahnhofstr. 31, schließt sich der Bezeichnung Osterholz-Scharmbeck an.
  • 1891: Osterholz (1.781 Einw.) und Scharmbeck (2.683 Einw.) bauen erstmals gemeinsam. Das damalige Armenhaus für beide Flecken ist heute Rathaus der Stadt.
Fleckenausschuss Osterholz 1926
Aufruf des Fleckenausschusses Osterholz 1926
  • 1926: Kreisausschuß und Scharmbecker Magistrat befürworten die von der Preußischen Staatsregierung empfohlene Zusammenlegung von Osterholz und Scharmbeck, während in Osterholz die Bürger (mit 541:380 Stimmen) und der Fleckenausschuss (mit 7:4 Stimmen) dies ablehnen. Ihr bürgerlich geprägtes „schönes Osterholz” solle nicht der sozialdemokratischen Mehrheit in Scharmbeck preisgegeben werden, die es nur auf ihre „starke Steuerkraft” abgesehen habe.
  • 1927: Per Gesetz vereinigt das Preußische Staatsministerium die Fleckensgemeinde Osterholz und die Landgemeinden Ahrensfelde, Bargten und Sandbeckerbruch mit der Fleckensgemeinde Scharmbeck. „Die vergrößerte Fleckensgemeinde führt den Namen Osterholz-Scharmbeck.”
  • 1929: Osterholz-Scharmbeck erhält die Stadtrechte.
  • 1936: Eingliederung der Gemeinden Buschhausen, Lintel, Westerbeck und eines Teiles von Hülseberg.
  • 1960er-Jahre: Der Osterholzer Hafen, im 19. und frühen 20. Jh. noch einer der wichtigsten Verkehrswege für Osterholz und Scharmbeck, ist wirtschaftlich mittlerweile völlig unbedeutend geworden. Wegen hoher Unterhaltskosten wird über seine Beseitigung diskutiert.
  • 1974: Eingliederung der Ortschaften Garlstedt, Heilshorn, Hülseberg, Ohlenstedt, Pennigbüttel, Sandhausen, Scharmbeckstotel, Teufelsmoor und des größten Teils der Ortschaft Freißenbüttel

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