Wo heute am Bahnhof das Gebäude mit dem Extra-Markt steht, imponierte 100 Jahre lang eines der bedeutendsten Unternehmen der Orte Osterholz und Scharmbeck bzw. Osterholz-Scharmbeck. 1875 nahmen die Osterholzer Reiswerke ihren Betrieb auf, ihre Blütezeit erlebten sie Anfang der 1880er-Jahre und noch einmal während des Nationalsozialismus und in den Nachkriegsjahren. Später wurde das Werk von der US-amerikanischen Kellogg Company übernommen und schließlich stillgelegt, 1978-79 die Werksanlagen abgerissen.
Während ihres 100-jährigen Bestehens haben die Reiswerke viele Menschen in mehrerlei Hinsicht beeindruckt:
- Unmittelbar am Bahnhof gelegen fielen die recht imposanten Fabrikgebäude jedem Neuankömmling und auch jedem Pendler unweigerlich ins Auge.
- Zum Leidwesen vieler erinnerten neben den Augen auch Nase und Ohren viel zu häufig an die Existenz der Reiswerke. Vom ersten Jahr an gab es nahezu immerwährende Proteste gegen die sehr intensiven Ausdünstungen der Abwässer, die oftmals im ganzen Ort zu riechen waren. Und viele Anwohner waren wenig begeistert über das allmorgendliche Pfeifkonzert der Dampfmaschine zum Schichtbeginn um 6:00 Uhr.
- Tausende von Flüchtlingen und Vertriebenen hingegen, die 1945-46 in überfüllten Zügen den Bahnhof Osterholz-Scharmbeck erreichten, haben die Reiswerke in angenehmer Erinnerung. Ihnen hat die Werksküche zur Begrüßung in der neuen Heimat die oftmals erste warme Mahlzeit nach Tagen der Entbehrung bereitet.
Geschichte: Der Osterholzer Fabrikant Hermann Hunte und der Bremer Kaufmann Gerhard Lange stellten 1874 beim Amt Osterholz den Bauantrag für eine mit Dampfkraft betriebene Stärkefabrik am Bahnhof. Dort hatten sie vom Rentier Jakob Finken und dem Schiffer Johann Friedrich Schmonsees etwa 7.500 m³ Ackerland zwischen der Bahnhofstr., den Bahngleisen, dem Grundstück des Gastwirtes Müller im Nordosten und dem Schmonseesschen Grundstück im Nordwesten erworben. Am 5. Oktober 1874 erteilte das Amt Osterholz dem Bremer Gerhard Lange die Genehmigung zum Bau einer Reisbearbeitungsfabrik an der Bahnhofstr. 352 (später Nr. 30). Ende 1875 begann mit zunächst 30 Arbeitern die Produktion von 50 Zentnern Stärke täglich. Der Dampfkessel mit 3.25 Atm Überdruck war „gegenüber“ in der Fa. Frerichs & Co hergestellt worden.
Das Werk erlebte in den ersten Jahren einen raschen Aufstieg. 1878 wurde die Anlage um eine Reismühle erweitert, entlang der Bahngleise wurde eine zusätzliche Werkshalle von 98 x 13.5 m gebaut. 1879 wurde ein zweiter und 1880 ein dritter Dampfkessel installiert. Bereits im Jahr 1880 beschäftigte das Werk 370 Mitarbeiter, jährlich wurden 750.000 Zentner Reis verarbeitet. Auf dem Werksgelände wurde für Betriebsangehörige die Siedlung Pappstraße gebaut.
Das Wohngrundstück ‚Pappstraße‘ ist mit 19 kleinen Miethäusern, die als Doppelhäuser oder als Reihenhäuser 1880 errichtet wurden, gebaut. Die Gebäude besitzen mehrere kleine Stallanbauten. Bewohnt werden die Wohnungen von Betriebsangehörigen der ‚Osterholzer Reiswerke‘.
(Beschreibung durch das Katasteramt)
1882 verschlechterte sich die Absatzsituation auf Grund zunehmender Konkurrenz, das Werk reagierte mit zusätzlicher Sirupproduktion und einer Ochsenmast auf dem Betriebsgelände, wo zeitweise annähernd 300 Ochsen in den Ställen standen. Um den anfallenden Dünger nutzbringend zu verwenden, erwarb und kultivierte Lange große Heideflächen in der Nähe der Elm und gründete dort das Gut Elm, das Anfang der 1890er-Jahre von Upmann übernommen wurde.
1893 wurde das Werk zur Aktiengesellschaft umgewandelt. 1901 schlossen sich die Osterholzer Reiswerke mit 8 weiteren Reisfabriken zur Reis- und Handels-Aktiengesellschaft zusammen:
- aus Bremen Rickmers Reismühlen, Reederei und Schiffbau AG , Gebr. Nielsen Stärkefabrik und Reismühle GmbH und Bremer Reismühle vorm. Anton Nielsen & Co. AG,
- aus Hamburg Norddeutsche Reismühle GmbH , Reismühle Reiherstieg, Hammerbrooker Reiswerke und Hansa Reismühle und
- aus Flensburg die Flensburger Reismühle
Im Vergleich mit den Werken in Hamburg und Bremen ließen die höheren Transportkosten die hiesige Reismühle zunehmend unwirtschaftlich werden, so dass diese 1911 geschlossen wurde. 1924 begann man mit der Produktion von Teigwaren, 1933 auch von Puffreis.
Auszeichnung „Nationalsozialister Musterbetrieb (aus J. Segelken „Heimatbuch“, 1938) |
In der Zeit des Nationalsozialismus vollzog sich ein starker Aufschwung von Produktion und scheinbar auch öffentlichem Ansehen. Die Belegschaftsstärke stieg von 137 im Jahr 1933 auf über 400 im Jahr 1938. Auftragsvergaben der öffentlichen Hand, Auszeichnungen wie „Gau-Diplom für hervorragende Leistungen“ und „Nationalsozialistischer Musterbetrieb“ (1938) sowie die über den Betriebsleiter Karl Henke euphorisch vorgetragenden Lobeshymnen im 1938 erschienenen „Heimatbuch“ von Johann Segelken, damals bekennendem Anhänger der NSDAP, lassen als Ursache des Aufschwungs auch die politische Gesinnung der Geschäftsleitung erahnen.
Von allen Stärkefabriken blieben im 2. Weltkrieg nur die Fabrikanlagen in Osterholz-Scharmbeck unbeschädigt, was die hiesige Produktion sowohl in den Kriegsjahren als auch in der Nachkriegszeit zusätzlich erheblich beflügelte. Im Dezember 1950 erreichte die Mitarbeiterzahl mit 512 ihren absoluten Höhepunkt.
1954 kam es zum ersten Streik seit 1918: nach 14 Streiktagen wurde eine Lohnerhöhung um 7 Pfennige vereinbart. 1960 stürzte der Fabrikschornstein zusammen, wurde aber neu aufgebaut. (Quelle: Chronik von Osterholz-Scharmbeck Bd. II, R. Meenkhoff, 2009)
1962 erwarb die US-amerikanische Kellogg Company Aktienanteile der seit 1901 in Bremen und Hamburg börsennotierten Reis- und Handels AG, die den Vertrieb der Kellog’s-Produkte in Deutschland übernahm.
Nach ihrer Gründung im Jahr 1963 stellte die Kellogg GmbH 1964 den ersten Bauabschnitt ihres Werkes in Bremen fertig und nahm die Produktion in Deutschland auf. 1972 fusionierte sie mit der 1965 zur GmbH umgewandelte Reis- und Handels GmbH, die 1968 erstmals einen Umsatz von mehr als 100 Mio DM erzielt hatte. In den folgenden Jahren wurde das Bremer Werk erweitert (1977 Fertigstellung einer bedeutenden Erweiterung), während die Produktionsstätte in Osterholz-Scharmbeck zunehmend verfiel. Die Anlagen wurden dann 1975 von der Stadt aufgekauft und die Gebäude 1978-79 abgerissen. Der Fabrikschornstein, über Jahrzehnte eines der Wahrzeichen von OHZ, wurde am 17.3.1979 gesprengt.
Ich kann mich an Osterholz reichswerke Werken das war ein besonderer Geruch. Ja nicht jeder Mochte. Aber was schlimm war dass man das Wahrzeichen abgerissen hat bzw gesprengt hat so hätte man Arbeitsplätze auchschaffen können.