Heidemann (Familie)

Die Familie Heidemann war über 100 Jahre lang in Osterholz-Scharmbeck ansässig und führte Anfang des 20. Jh. das größte Bekleidungsgeschäft in Osterholz an der Hauptstraße, der heutigen Findorffstraße. Im Nationalsozialismus wurden sie gedemütigt, entrechtet und bis auf wenige Ausnahmen deportiert und in Lagern ermordet.

Mitte des 19. Jh. lebte sowohl in Osterholz als auch in Scharmbeck jeweils eine Familie Heidemann, ein evtl. Verwandtschaftsverhältnis der beiden Familien ist nicht dokumentiert.

Die Heidemanns in Scharmbeck

In Scharmbeck war die Familie von Abraham Heidemann bereits 1829 und 1844 als eine von acht dort ansässigen jüdischen Familien registriert. Das Bekleidungsgeschäft von J. A. Heidemann in der Scharmbecker Kirchenstraße 115 (später Nr. 10) übernahm 1880 Iwan Gotthelf. (Quelle: Menkhoff)

Die Heidemanns in Osterholz

In Osterholz wurde „der Osterholzer Heidemann“ 1840 Bezirksvorsteher der jüdischen Gemeinde. Das Unternehmen S. J. Heidemann wurde 1851 in der Osterholzer Hauptstraße 16 (später Findorffstraße 8 ) gegründet, 1893 wurde David Heidemann neuer Inhaber der Firma. Das Ehepaar S. J. Heidemann feierte 1901 Goldene Hochzeit. 1902 wurde das Geschäftshaus durch die Fa. Torbohm erweitert. David Heidemann wurde 1903 in den Gemeinderat der Israeliten-Gemeinde Osterholz-Scharmbeck gewählt. 1910 erwarb die Fa. Heidemann ein benachbartes Grundstück vom Uhrmacher Albert Murken, um ein modernes Geschäftshaus bauen zu lassen, welches 1911 eingeweiht wurde. J. Heidemann (vermutlich Josef bzw. Iwan Heidemann) wurde 1922 Rechnungsführer des neu gegründeten „Kaufmännischen Vereins Osterholz-Scharmbeck und Umgebung“. Am 1. Oktober 1937 kam es in Folge des Boykotts jüdischer Geschäfte zum Zwangsverkauf des Unternehmens an die Fa. Chr. Essen. (Quelle: Menkhoff)

Die Brüder Alfred (1884-1942) und Josef („Iwan“, 1883-1941) Heidemann lebten bis 1937 in der Findorffstraße und betrieben dort das väterliche Geschäft. Alfred und Grete Heidemann lebten im 2. Stock und wurden 1942 über Bremen in das Konzentrationslager Minsk deportiert und ermordet. Ihre Tochter Lilly (1920-1999) konnte 1938 nach London in Sicherheit gebracht werden. Josef und Irma Heidemann lebten im 1. Stock und wurden 1941 über Hamburg ins Konzentrationslager gebracht und ermordet, ihr Sohn Gottfried (David) Heidemann konnte nach Palästina ausreisen, wo er 1999 eine große Farm besaß. (Quellen: Ernst-Goergens B, Goergens H: Die Geschichte der Juden in Osterholz-Scharmbeck 1999; teilweise korrigiert anhand von Lebenserinnerungen von Lilly und Gottfried Heidemann)

Moritz Heidemann und Familie

Es ist anzunehmen, dass der später in Hamburg tätige Kinderarzt Moritz Heidemann (*15.11.1885 in Osterholz) ein jüngerer Bruder von Alfred und Iwan war. Er studierte Medizin in Freiburg, Göttingen, München sowie Heidelberg und promovierte 1911. Von 1914 bis 1917 nahm er am 1. Weltkrieg teil und erlitt eine 50%-ige Kriegsbeschädigung. Ab 1922 war er mit seiner Frau Charlotte (geb. Cohn, Dr. med.) in der Isestraße 69 in Hamburg ansässig. 1938 emigrierte er mit seiner Frau zu seinem Sohn Rolf nach Buenos Aires, Argentinien. Über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt. Quelle: GV, Staatsarchiv HH, PäA, RAR; zitiert nach Seidler E: Jüdische Kinderärzte 1933-1945: Entrechtet/Geflohen/Ermordet; Erw. Neuaufl. – Basel ; Freiburg [u.a.] : Karger, 2007.

Adolf Heidemann und Familie

Ein weiterer Bruder war vermutlich der Bankkaufmann Adolf Heidemann (*15.8.1887 in Osterholz-Scharmbeck), der zunächst in Halberstadt lebte und von dort mit seiner Frau Therese Heidemann (*6.12.1891, geb. Senior in Halberstadt) im Jahr 1922 nach Stade zog. Dort lebte er in der Bremervörder Straße 31 und führte das „Stader Bank- und Effektenkommissionsgeschäft Adolf Heidemann“.

Im Januar 1936 forderte der NSDAP-Ortsgruppenleiter den Reichskommissar für das Kreditwesen als Aufsichtsbehörde auf, gegen Heidemann vorzugehen, da „kein Bedarf für jüdische Winkelbanken“ mehr bestehe. Heidemann wurde als „Hausierer“ beschimpft, der enge Beziehungen „zu ehemals führenden Marxisten und Demokraten“ unterhielte, so dass es unverständlich sei, dass „derartige Parasiten heute noch amtlich bestätigt werden“. Reichskommissar Ernst antwortete im Februar 1936 zwar noch, dass weder die Firmenbilanzen noch die Geschäftsführung Anlass zur Beanstandung geben würden, verlieh aber gleichzeitig seiner Prognose Ausdruck, dass die Bevölkerung die „richtige Auswahl unter den bestehenden Bankgeschäften“ treffen werde. (Quelle: Köhler I: Die „Arisierung“ der Privatbanken im Dritten Reich. Verl. C.H. Beck, 2. Aufl. 2008)

Am 13. Mai 1939 jedenfalls zogen Adolf und Therese mit ihrer einzigen Tochter Ruth (geb. 1920 in Halberstadt) nach Hamburg in die Feldbrunnenstraße 3, wo sie auf Visa für die USA warteten. Die Eltern wurden am 6. Dezember 1941 nach Riga deportiert und später dort ermordet, für sie sind in Hamburg Stolpersteine verlegt. Tochter Ruth gelang es, im August 1939 nach London auszuwandern. (Quelle: Tageblatt online 20.4.2010)

Betty Heidemann

Die unverheiratete Schwester Betty Heidemann (1889-) verzog im Juli 1940 nach Verden und kam vermutlich in einem Lager im Osten ums Leben. (Quelle: Murken)

Einträge im Gedenkbuch beim Bundesarchiv

Heidemann, Alfred
* 03. August 1884 in Osterholz-Scharmbeck
wohnhaft in Hamburg

Deportation:
ab Hamburg
25. Oktober 1941, Litzmannstadt (Lodz), Ghetto

Todesdatum:
19. März 1942, Litzmannstadt (Lodz), Ghetto

Heidemann, Adolf
* 15. August 1887 in Osterholz-Scharmbeck
wohnhaft in Hamburg

Deportation:
ab Hamburg
06. Dezember 1941, Riga-Jungfernhof, Außenlager Ghetto Riga

Heidemann, Betty
* 06. August 1889 in Osterholz-Scharmbeck
wohnhaft in Verden

Deportation:
1941, unbekannter Deportationsort

Heidemann, Lilli
* 23. November 1920 in Osterholz-Scharmbeck
wohnhaft in Münster i. Westf.

Deportation:
unbekannter Deportationsort

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